Master Innenarchitektur-Raumkunst, Timo Heijnk
Ich sehe was, was du nicht siehst
SoSe 2025, Seite 1







I
ch sehe was,
Was du nicht siehst








23. Juni 2025

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Seit November 2024 begleite ich das Reinigungsteam, das im Rahmen der letzten Ausschreibung 2020 die Technische Hochschule OWL betreut. Acht Reinigungskräfte – sieben Frauen und ein Mann – sind für die Gebäude 1 bis 8 zuständig, organisiert durch Revierpläne. Drei Teammitglieder haben eine Migrationsbiografie, was den Austausch zu Beginn wegen bestehender Sprachbarrieren erschwerte.

Der Ursprung meines Projekts war ein schmutziges Mikrofasertuch, das Harry Nessel nutzte, um Fenster für eine Kunstausstellung zu reinigen. Dieser beiläufige Moment wurde für mich zum künstlerischen Ausgangspunkt: Zwei Welten treffen aufeinander. Auf der einen Seite die Kunst und Gestaltung, das Sichtbare, das inszenierte Ergebnis – auf der anderen Seite die zuvor geleistete, unsichtbare Arbeit, die all das erst ermöglicht.

Diese Arbeit ist eine künstlerische Reflexion über Reinigung, Wert und Wahrnehmung im Alltag – mit besonderem Fokus auf unser Umfeld, die oft ungesehene Selbstverständlichkeiten, die uns
 begleiten und tragen. Es geht um Wert - und nach welchen Kriterien wir ihn vergeben. Es geht um den sozialen Status von Reinigungstätigkeiten. Dabei geht es nicht nur um Kritik, sondern um kreative Begegnung: um Austausch, neue Perspektiven und Anerkennung.

Das Projekt versteht sich als Brücke zwischen Raumkunst und Alltag, zwischen Konzept und gelebter Realität. Es hinterfragt nicht nur soziale Rollenbilder, sondern verschiebt Kontexte und stellt beispielsweise ungesehenes Material in den Mittelpunkt: als Werkzeug, Zeichen und Träger von Bedeutung.




/06/25

*Prolog*


Ich sehe was, Was du nicht siehst
ist mehr als ein Spiel. Der Titel bezieht sich auf eine Kindheitspraxis, ein Spiel in dem etwas entdeckt werden soll, oft mit dem Hinweis einer Farbe. Ein Objekt, das sich im Raum befindet – sichtbar, aber vielleicht noch nicht von allen gesehen. Eine Aufforderung zum genaueren Hinschauen. Diese einfache Formel enthält, fast beiläufig, ein Prinzip der Wahrnehmung: Aufmerksamkeit entsteht im Moment der Benennung.

In seiner naiven Form ist das Spiel bereits eine Schulung – für Blicke, für Umgebung, für Differenz. Es geht nicht darum, Neues zu schaffen, sondern das Vorhandene anders zu lesen. Zwischen dem Sichtbaren und dem Gesehenen liegt eine Entscheidung: Was nehmen wir wahr? Was übersehen wir? Was erkennen wir nur deshalb nicht, weil es selbstverständlich erscheint?

Im Kontext dieser Arbeit wird der Satz zur Methode. Ich sehe was, was du nicht siehst meint: genau hinsehen, länger bleiben, sich einlassen. Es meint: das Nebensächliche als wesentlich begreifen. Die Materialien, Gesten und Routinen, die unsere Räume möglich machen, ohne je im Zentrum zu stehen. Das Spiel wird zur Recherche – und bleibt dabei ein Spiel mit Wahrnehmung. Offen, fragend, präzise.



23. Juni 2025


kuratorische

Einleitung


„Ich sehe was, was du nicht siehst“ ist ein Versuch, das Unsichtbare zu ehren. Eine Raumgeste der Dankbarkeit. Und vielleicht eine Erinnerung daran, dass Gestaltung nicht am Entwurf endet – sondern dort beginnt, wo Menschen sich kümmern.

Es geht um Erhalt. Um Nutzung und ihre Spuren. Um einen bewussten Umgang mit Bestand. Reinigung! Sie ist nicht Beiwerk, sondern Voraussetzung. Ohne sie verlieren Räume an Wirkung, Haltbarkeit und Wert. In der Innenarchitektur wird viel über Gestaltung gesprochen – aber selten über das, was diese Gestaltung trägt. Reinigung ist Teil des Entwurfs. Ein stilles, tägliches Ritual der Fürsorge. Was wir sehen, ist das selbstverständlich Unsichtbare. Tag für Tag sehen wir: nichts. Und gleichzeitig geschieht sehr viel. Reinigung ist oft prekäres Terrain – strukturell entkoppelt, ausgelagert, gering bezahlt. Reinigungskräfte stehen am Rand unseres Systems, obwohl sie es im Innersten zusammenhalten. Viele sind weiblich. Viele mit Migrationsbiografie. Viele ungeschützt – in einem Betrieb, der auf sie baut. 

Diese Ausstellung entstand aus einer ethnografischen Annäherung an das Reinigungsteam der Hochschule. Über zwei Semester hinweg wurden Arbeitswege beobachtet, dokumentiert, Routinen begleitet, zugehört, Gespräche geführt. Vertrauen aufgebaut. Räume und Utensilien bekamen Charakter. Es ging um Handgriffe, um Witz, um Frustration, um Zufriedenheit. Es geht um Menschen mit unterschiedlichsten Biografien – verbunden durch einen Beruf, der gesellschaftlich oft entwertet wird. In „Ich sehe was, was du nicht siehst“ verschmelzen Glamour und Alltag, High Fashion und unsichtbare Arbeit, Selbstbild und Verantwortung, Oberfläche und Substanz. Eine leise, aber bestimmte Kritik an institutionellen Blindheiten. Ein spielerischer Umgang mit Hierarchien, in denen Wert nicht nach Bedeutung, sondern nach Sichtbarkeit verteilt wird. Ein Spiegel für uns und eine Hommage an die Menschen, deren Arbeit Grundlage jedes innenarchitektonischen Wirkens ist. Die Ausstellung ist keine Antwort – sondern eine Frage. Eine Frage nach Wert und/oder Alltag. Nach Prestige und Prekariat. Nach Nutzung und Beseitigung, Sensation und Selbstverständlichkeit. Komplexität, gefasst in ein scheinbar einfaches Spiel. 

Ich sehe was, Was du nicht siehst - Was siehst du?






Retail/Exhibition/Performance/Shortfilm/Fashion/Photography/Marketing
alles und nichts, hopefully relevant in any way